Rayko Moritz im Interview – Das kommt mir doch Chinesisch vor

365 Tage brauchten Martin und Rayko für Ihre Motorradreise von Berlin nach Shanghai. Die beiden erlebten ein abwechslungsreiches Abenteuer, mit prägenden Begegnungen, dem Kampf gegen Naturgewalten im Ural oder der Suche nach einem Weg in der Wüste Gobi. In Laos geraten die beiden in eine Schießerei, zwischen rivalisierenden Banden, bauen Ihr Zelt zwischen Kamelen auf und staunen immer wieder über die Gastfreundschaft der Menschen. 

Danke Rayko, das Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns genommen hast. 

Wann und wo bist Du geboren geboren?

Ich bin 1974 in Frankfurt/Oder geboren.

Martin wurde in Teterow ebenfalls 1974 geboren.

Was hast Du vor Deiner Europa-Asien-Expedition gemacht?

Martin hat vorher in einer Berliner Firma Überwachungs- bzw. Sicherheitssysteme für Firmen vertrieben.

Ich habe vorher als Musiker und Klavierlehrer mein Geld verdient.

Du bist mit dem Motorrad von Berlin, bis nach Shanghai fahren. Mit dabei Dein Freund Martin. Kanntet Ihr Euch schon länger?

Wir kannten uns schon länger vom Studium.

Wieso Shanghai? Was das als Ziel vorab klar?

Einerseits war Martin im Rahmen seines Studiums schonmal ein halbes Jahr in Shanghai, andererseits war es eine spontane Idee aus einer Bierlaune heraus (siehe Roman-Prolog)

Eure Route führte Dich über die Ukraine, Russland, Mongolei bis nach China. Zurück ging es dann über Südostasien, Ostasien und dem Nahen Osten. Gab es bei den 15 Ländern die Du bereist hast, für Dich einen Favoriten?

Ein Land das Dich im nach hinein besonders beeindruckt hat?

Die unterschiedlichen Länder miteinander zu vergleichen ist schwer. Das ist wie mit Äpfeln und Birnen. Je nachdem, welche Kategorie man zu Grunde legen will, gibt es 15 verschiedene Antworten. Mich persönlich faszinierten aber zwei Kriterien besonders.

Das Eine war die Andersartigkeit der Fremde. Das liegt in der Natur der Sache. Jemand der sich für das Reisen entscheidet, liebt genau diesen Aspekt. In diesem Punkt war China der absolute Spitzenreiter. Das Einzige, was China noch mit unserer Welt gemein hatte war McDonalds und Coca-Cola. Ansonsten war alles – ja, eben anders. Ich hoffe, ich konnte das auch in zahlreichen „Chinapassagen“ im Roman zum Ausdruck bringen.

Das Andere, was mich stets aufs Neue begeisterte war die Gastfreundschaft, von der wir Deutschen uns wirklich eine fette Scheibe abschneiden können. In dieser Kategorie ergatterte sich die Ukraine die Goldmedaille. Wir durften so häufig die herzliche Gastfreundschaft der Ukrainer erleben, sodass ich bis heute dieses wunderbare Land mit dieser Zeit damals in Verbindung bringe.
Nur leider wird man mit solch einer Favorisierung allen anderen Ländern nicht gerecht, die ebenso wundervoll auf ihre eigene Art und Weise sind.

Kamen Euch in der Reisevorbereitung je Zweifel an dem was Ihr plant?

Ein eindeutiges NEIN! Das sage ich absichtlich so deutlich, da ich heute der Überzeugung bin, dass wir damals mit einem Fünkchen Unentschlossenheit nicht die Reiseroute hätten nehmen können, die wir im Vornherein geplant hatten. 

Die Einreise nach China stand trotz intensiver Bemühungen vor Reiseantritt aufgrund der schier unerfüllbaren Einreisebestimmungen für Touristen mit eigenem Fahrzeug noch himmelhoch in den Sternen. Trotzdem blieben wir innerlich ruhig, weil wir intuitiv wussten, dass alles gut gehen würde. Die übrigen Bedenken bezüglich der Durchführbarkeit der Reise waren bei Martin sowie bei mir nie ansatzweise ein Thema. Über die Art und Weise, wie wir dann vor Ort unser Chinaproblem gelöst haben, muss ich heute noch schmunzeln.

Das Buch zur Reise


Planung

Gab es negative Erlebnisse, Zusammentreffen, Ereignisse, an die ihr nicht so gerne zurückdenkt?

Wenn man auf einer Reise gerade in so einem „blöden“ Moment steckt, dann mag die Beschreibung, es sei unangenehm oder negativ sicherlich passen. Letztendlich würzen diese Erlebnisse aber das Reisen und werden später auf jeden Fall Pflichtbestandteil des Reiselateins und bilden gleichzeitig eine Relation zu den schönen Erlebnissen.
Wir hatten nicht viele negative Begebenheiten. Ich erinnere mich nur noch an zwei:

In Laos durchfuhren wir eine Bergregion in der sich verfeindete Banden bekriegten. Dabei gerieten wir in einen Schusswechsel.

In Indien zelteten wir eines Abends in der Nähe eines Dorfes aus dem wir nachts Besuch von drei betrunkenen Raufbolden bekamen. Aufgrund der Sprachbarriere und ihres alkoholisierten Zustandes eskalierte die Situation.

Gab es einen Moment der Euch besonders positiv in Erinnerung geblieben ist?

Oh ja. Der Moment als meine Motorradstiefel Shanghaier Boden berührten und der Moment auf der Rücktour als ein Tankwart an der A8 bei Rosenheim bemerkte: „…und die ganze Strecke mit dem Motorrad!“ während er auf meiner EC-Karte die Aufschrift „Landkreis Dahme-Spreewald“ las. Ich lies ihm die Erkenntnis, dass 500 Kilometer eine lange Strecke seien und genoss in beiden Momenten ein unbeschreibliches Gefühl des Triumphes, es geschafft zu haben.

Wir haben selber vor Jahren eine Radtour durch Südostasien unternommen. Damals war für uns Indien und Vietnam die spannendsten Länder, was den Verkehr betrifft. Könnt Ihr das bestätigen, oder gibt es noch andere Länder, in dem der Verkehr besonders chaotisch abläuft?

Du meinst, dass man das Gefühl hat, dass Fahrbahnmarkierungen einzig zur Zierde auf den Asphalt gemalt wurden und dass ein Monstertruck-Hupen hinter dir bedeutet: „Du hast noch 3 Sekunden, dann bist du Matsch!“ ?

Leider waren wir nicht in Vietnam. In Thailand und Malaysia ähneln die Verkehrsszenarien bereits auffällig denen der westlichen Hemisphäre. Ein heißer Tipp wäre China. Mit dem Fahrrad wärt ihr dort natürlich zwei Fahrradfahrer von vielen, auch wenn eure Velos sich massiv von den chinesischen Drahteseln unterscheiden würden, aber der chinesische Verkehr ist geil! Generell kann man bis auf einige Ausnahmen sagen, dass es im gesamten ostasiatischen Raum nur eine Vorfahrtsregel gibt: Das Vehikel, was den meisten Gummi auf den Asphalt bringt, hat Vorfahrt. Da es in diesen Regionen keine Motorräder unserer Kubik-Klasse gibt, kämpften Motorradfahrer ähnlich wie die zahlreichen kleinen qualmenden Nagelpfeilen links, rechts, vor und hinter einem um ihre Daseinsberechtigung.

Indien begeisterte uns noch dazu, weil die maroden Straßen in uns täglich die Angst schürten, während eines unachtsamen Moments in ein riesengroßes Schlagloch zu plumpsen und auf der anderen Seite des Planten wieder ausgespuckt zu werden. Das könnt ihr sicherlich nachvollziehen.

Was war schöner als Daheim?

Die Gastfreundschaft. Damit möchte ich nicht sagen, wir Deutschen hätten eine minderwertige Gastfreundschaft. Z. B. sind die Sachsen ein hochseltsam gastfreundliches Völkchen. Doch die Wärme und Intensivität ukrainischer, pakistanischer oder iranischer Gastfreundschaft hat uns schwer beeindruckt. Zu einem großen Teil hat die Gastfreundschaft der Einheimischen unsere Reise erst zu dem gemacht, was sie letztendlich geworden ist. Auch der Roman hat durch die vielen Begegnungen mit gastfreundlichen Leuten Leben eingehaucht bekommen.

Was war anstrengender als Daheim?

Die alltäglichen Dinge, über die wir uns daheim keine Gedanken machen sind auf so einer Reise natürlich anstrengender. Sie sind so anstrengend, dass sie deiner gesamten Aufmerksamkeit während des Tages bedürfen.

Wenn du in Deutschland Bargeld benötigst, hältst du unterwegs mit deinem Auto nochmal schnell an einem Geldautomaten. Im nicht europäischen Ausland ist eine EC-Karte oft nur ein wertloses Stück Plastik. Wir haben uns damals mit Traveller-Checks über Wasser gehalten. Meist war es aber so, dass nur eine einzige Bank im Land, meist die größte, Travellers akzeptierte. Das hieß aber nicht, dass ein Filial-Besuch dieses Geldhauses reichte, um an die heißbegehrte Landeswährung zu kommen.

Oft kannten sich die Bankangestellten mit dem Prozedere um einen Traveller-Check nicht aus und wollten uns aus Unsicherheit lieber wieder vor die Tür schicken. Dann waren wir gezwungen das letzte Mittel zu gebrauchen und sind vor dem Schalter etwas unhöflich laut geworden, bis das Aufsehen so groß war, dass der Bankangestellte das Problem delegierte und sein Chef an uns herantrat, der sich aus seinem Studium noch dunkel an die Handhabung von Traveller-Checks erinnern konnte und uns weiterhalf.


Internet ist in Deutschland selbstverständlich per Knopfdruck zu haben. Manchmal scheuchten wir unbeabsichtigt die halbe Einwohnerschaft eines Ortes auf, um ein irgendein verflixtes Internetcafé zu finden, weil uns jeder helfen wollte, aber keiner genau wusste, wo er uns hinschicken sollte, daraufhin einen Kumpel fragte usw.


Wenn du zu Hause abends schlafen gehen willst, fragst du dich in diesem Kontext, warum das ein Problem darstellen sollte. Unterwegs ist so etwas anders. Einige Male avancierte die allabendliche Suche nach ein paar Quadratmetern für unser Zelt zu einem Desaster, was bis spät in die Nacht hinein dauerte und uns die seltsamsten Übernachtungsorte bescherte. Einmal zelteten wir unwissentlich in einem Tigerreservat, das andere Mal auf dem Grundstück einer Polizeistation. Einmal zelteten wir auf dem Mittelstreifen einer noch nicht freigegebenen Schnellstraße, das andere Mal versteckt am Waldrand nahe der russisch-mongolischen Grenze, worauf am nächsten Morgen ein russischer Panzer fast durch unser Zelt fuhr.

Was war für Euch schwieriger auf Reisen, das Losfahren oder das zurückkommen?

Das Losfahren war schwieriger. Die Reisevorbereitungen sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Haben wir auch nicht. Trotzdem wurde bis zum Abfahrtstag das Zeit Fenster immer kleiner, so dass manche in der Vorbereitung geplante Dinge hinten runterfielen. Den Tag der Abfahrt habe ich noch ziemlich chaotisch in Erinnerung. Aus Zeitmangel wurden alle Reiseutensilien wahllos in die Kisten geschmissen alles notdürftig verpackt und am Krad festgeschnürt. Doch mit dem Losfahren spürte ich plötzlich eine Erleichterung. Ok., es war nicht perfekt, aber wir waren endlich unterwegs.

Das Ankommen hingegen ging schneller, als ich mir im Vorfeld ausgemalt hatte. Es war ein schönes Gefühl, wieder daheim zu sein, auch wenn in den Tagen und Wochen danach so eine Leere, so ein schwarzes Loch entsteht, in das man droht hineinzufallen.

Für die Reise nach Shanghai habt Ihr 365 Tage gebraucht. Wie viele Kilometer habt Ihr am Tag gemacht? War das nicht zu schnell für die gefahrene Strecke?

Wir benötigten hin und zurück 365 Tage. Einen Tagesdurchschnitt kann man ja ermitteln, indem man 44.000 Kilometer durch die 365 Tage teilt, nur lässt die Aussagekraft des Durchschnitts zu wünschen übrig. Es gab Tage, an denen sind wir aufgrund der extremen Witterung nur 50 Kilometer weit gekommen. 

Oft waren wir froh, unsere 200 Kilometer geschafft zu haben, weil Einkauf, Internetcafé, Wäsche waschen und Tanken zu viel Zeit in Anspruch nahmen. Dann war es auch absolut notwendig alle paar Tage eine Art Wochenende einzulegen, da uns der tägliche Kampf auf der Straße durchaus körperlich, geistig und manchmal auch psychisch stark zusetzte.

Eine der spannendsten Fragen für Ausstehende ist sicherlich immer die Finanzierung. Wie lief das bei Euch. Alles vorab zusammen gespart?

Ja, wir haben vorher gespart. Die Reise hat jeden von uns 10.000 Euro gekostet. In diesem Betrag sind aber alle Unkosten enthalten. Laufende Kosten, Ausrüstung, und sogar die Motorräder. Die laufenden Kosten beliefen sich allerdings auf gerade einmal 3.000 Euro. 

Das haben wir aber nur geschafft, weil wir zu 99% der Übernachtungen im Zelt gepennt haben. Auch ein plötzlicher Wintereinbruch in der Türkei ist eine äußerst interessante Erfahrung, wenn man im Zelt schläft. Dazu ein kleiner Tipp an die Hartgesottenen: Unbedingt eine Wasserflasche mit in den Schlafsack nehmen! Der morgendliche Kaffee versetzt mit Eiswürfel bringt schlechte Laune.

Krankenversicherung ist auch so ein Thema. Wie war Ihr auf der Reise Krankenversichert? Hattet Ihr überhaupt eine?

Natürlich hatten wir als Deutsche eine Krankenversicherung. Um die Kosten aber kontrollierbar gering zu halten, bildet man klugerweise eine Anwartschaft auf die bestehende KV. Das bedeutet, man setzt seine deutsche Krankenversicherung aus und kündigt sie nicht. Das hat zwei Vorteile: Erstens, man bezahlt nicht den üblichen vollen Monatstarif während er Reisemonate, sondern nur ca. 50 Euro/Monat. Zweitens kann man dafür am Ende der Reise wieder mit demselben Tarif einsteigen. 

Letzte Frage: Welchen wichtigen Tipp, könnt Ihr anderen Abenteurern mit auf den Weg geben?

Auf den vielen Diashows, die wir 3 Jahre danach gegeben haben, sprachen uns sehr viele Leute unterschiedlichen Alters an, sie würden solch eine Reise auch gern machen, aber… Es gab auch einige, die meinten sie werden fahren und würden sich zwecks einiger Fragen vorher nochmal bei uns melden. Leider bekamen wir nie ein Feedback. Ein wichtiger Tipp von uns an alle die, die wirklich innerlich den Wunsch nach der Ferne verspüren: Setzt euch ein Abreise-Datum, ein Datum für den Vorbereitungsbeginn und macht euch einen Plan! Ohne diesen Kalendertermin, haben die meisten von uns keine Chance, diese wundervollen Abenteuer zu erleben, die z. B. wir erlebt haben. Wir zehren heute noch von dieser so wichtigen Lebenserfahrung.

 
Stellt euch doch einfach mal die Frage, ob eure Rolle, die ihr hier in Deutschland spielt, wirklich so wichtig ist, dass man sie nicht mal eine längere Zeit pausieren lassen kann. Wir sind nicht so wichtig wie wir immer glauben zu sein, aber unser Leben ist es. Da draußen tobt das Leben. Es ist bunt, es ist schön, atemberaubend und es wäre schade, wenn DU nicht dabei wärst. Es muss nicht die klassische Motorradreise sein. Der Eine fährt Fahrrad, der Andere macht ein soziales Jahr in Afrika. Ein Jahr Schnee schippen ist auch eine extreme Erfahrung. Egal welcher Lebensplan eurer ist, spielt nicht nur die Rolle, die die Gesellschaft von euch verlangt! Setzt euch ein Datum, arbeitet darauf hin und geht da raus und lebt das Leben!

 
Ich wünsche allen Träumern, allen Überlebenskünstlern und auch allen, die sich hauptsächlich von solchen Geschichten ernähren alles Gute!

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