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Tom Richter im Interview – mit dem Liegerad um die Welt

Mit dem Liegerad um die Welt. Das war der Traum von Tom Richter. 2 1/2 Jahr war er unterwegs und galt als einer der ersten Deutschen, der solch eine Tour mit dem Liegerad unternommen hat. Auch Tom standen uns freundlicherweise Rede und Antwort.

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Wann und wo bist Du geboren?

Ich bin 1977 in Berlin geboren.

Was hast Du vor Deinen Reiseabenteuern gemacht?

Meine großen Radreisen sind ein Schritt einer langen Entwicklung. Schon als Kind war ich gerne draußen und habe die Umgebung mit dem Fahrrad erkundet. Abenteuer ist ja etwas subjektives und abhängig vom Erfahrungshorizont. 

Wenngleich keine Reise, war auch das in gewisser Weise schon Abenteuer. Und die Kreise wurden einfach immer größer. Im Alter von 16 Jahren die erste mehrwöchige Tour ins Ausland. Fortan wurden die Sommerferien darauf verwendet. 

Nach dem Studium die erste mehrmonatige Reise auf einem anderen Kontinent. Irgendwann eine mehrjährige Reise über mehrere Kontinente. Schüler, Hochschulabsolvent, Arbeitnehmer, Familienvater – die Rahmenbedingungen ändern sich, Reiseabenteuer gab es immer parallel.

Schieben ist auch bei einem Liegerad möglich und im Weichsand so notwendig, wie bei jedem anderen beladenen Rad - Nubische Wüste,
Schieben ist auch bei einem Liegerad möglich und im Weichsand so notwendig, wie bei jedem anderen beladenen Rad - Nubische Wüste,

Was war der Auslöser / gab es einen Auslöser für die Entscheidung auf lange Reise zu gehen?

Es gab keinen Auslöser, aber richtungsweisende Schritte. Zunächst der wichtigste erste Schritt, überhaupt längere Radreisen zu unternehmen. Da hatte ich das Glück, unter meinen Schulfreunden Gleichgesinnte zu finden, in einem Fall einen langjährigen Reisepartner bis hin zur Weltreise. Als ich mit diesen Reisen anfing, habe ich die Berichte von Axel Brümmer und Peter Glöckner und ihrer fünfjährigen Fahrradtour gelesen. 

Für mich seinerzeit eine völlig neue Idee, beeindruckend und gleichzeitig abwegig, dass ich Monate oder gar Jahre unterwegs sein könnte. Ein paar Wochen in den Sommerferien waren genug.
2002 unternahm ich eine dreimonatige Soloradtour durch Nordamerika. 

Erstmals wurde das Unterwegssein zu meinem Alltag ohne den ständigen Blick darauf, was an Zeit und Strecke noch vor mir lag. Noch längere Reisen, Interkontinentaltouren, eine Weltumradlung schienen mir nun auch für mich machbar. Von da an gab es eine konkrete Idee.

Kamen Dir in Deinen Reisevorbereitungen jemals Zweifel an dem, was Du planst?

Nein. Ich bin ein rationaler Mensch. Ich sehe viele Argumente, die für so eine Unternehmung sprechen. Dabei geht es über das Erlebnis hinaus ums Dazulernen, um die persönliche Entwicklung, darum den eigenen Horizont zu erweitern und sein eigenes, wohlbehütetes Leben zu reflektieren. 

Demgegenüber gibt es von außen herangetragene irrationale Ängste, aber keine Argumente, es nicht zu tun. Hier wusste ich aber auch aus dem Bauch heraus, dass ich das machen möchte und habe es nie zweifelnd hinterfragt. Allein bei der Weltumradlung kam auf den ersten Kilometern und auch nur dort etwas Respekt vor der eigenen Courage auf.

Du hast für Deine Weltreise ein Liegerad als Transportmittel gewählt. Wieso gerade ein Liegerad?

Das Liegerad bietet von der Körperhaltung her ein entspannteres Fahren. Das Körpergewicht ist auf eine größere Fläche verteilt, die Arme sind seitlich gesenkt, der Blick gleitet ohne Verrenkungen über die vor einem liegende Landschaft. Sitzbeschwerden, taube Hände, verkrampfte Schulter- und Nackenpartie gibt es beim Liegeradfahren nicht. Das Liegerad ist prädestiniert oder zumindest eine überlegenswerte Alternative, wenn man Tag für Tag viele Stunden auf dem Rad sitzt.

Unterwegs stellte sich heraus, dass das Liegerad durch eine weitere Besonderheit zu einer großen Bereicherung wird. Fast überall auf der Welt ist es völlig unbekannt. Immer wieder bin ich von Menschentrauben umringt und man rätselt, wie man damit fährt. Ich führe vor und lasse Probe fahren – barfüßige Sudanesen in langem Gewand, chinesische Militärs oder buddhistische Mönche, argentinische Polizisten, tadschikische Reiter und immer wieder Kinder. 

Der Kontakt zu den Menschen ist über das Rad hergestellt. Das muss man natürlich auch aushalten wollen, aber der Kontakt zu Menschen und damit zu ihrer Kultur ist ein elementarer Bestandteil der Reisen. Demgegenüber kann ich aber auch sehr gut allein in völlig abgeschiedenen Gegenden unterwegs sein, zumal solche Etappen meist mit intensiven Landschaftserlebnissen einhergehen.

beim Überqueren eines Erdrutsches, mit dem Rad geht es immer irgendwie weiter - Kolumbien
beim Überqueren eines Erdrutsches, mit dem Rad geht es immer irgendwie weiter - Kolumbien

Was war der schönste Moment auf Deinen Reisen?

Es gab so viele schöne Momente – Gastfreundschaft, fantastische Natur, interessante Menschen und vieles mehr. Am schönsten war es, diese Momente zu teilen, vor allem mit meiner Familie. Das gemeinsame Zurückerinnern an gemeinsam Erlebtes beschert Jahre nach den Reisen noch schöne Momente. 

Zwei Reisen habe ich solo fortgesetzt, nachdem meine Partnerin, ein anderes Mal meine Partnerin und unsere Tochter planmäßig vor mir nach Hause gereist sind. Die Tage nach dieser Trennung waren mentale Tiefpunkte der Reise.

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Liegerad als Kontaktwerkzeug - Tibet, China

Gab es negative Erlebnisse, an die du nicht so gerne zurückdenkst?

Ich bin nie ernsthaft krank geworden oder anderweitig zu Schaden gekommen. Alles andere, was nicht optimal lief, sind Herausforderungen, die das Abenteuer auch bereichern. In der Rückschau schrumpfen diese Herausforderungen und dominiert sowieso das Positive.

unterwegs mit der Familie durch Südostasien - Thakhek, Laos
unterwegs mit der Familie durch Südostasien - Thakhek, Laos

Was hast Du auf Reisen für Dich gelernt?

Um nur einen Punkt zu nennen, ich habe gesehen, wie komfortabel wir in Deutschland leben in Sicherheit und Frieden, Freiheit, Überfluss, Planbarkeit. Wir haben so viele Möglichkeiten, unser Leben in eine selbst gewählte Richtung zu lenken. Das ist vielerorts nicht der Fall. 

Beispielsweise kann ich, einfach weil ich Lust dazu habe, mit dem Rad durch die Welt reisen, habe die finanziellen Mittel, mich unterwegs mit dem Notwendigen zu versorgen und wenn es mir zu viel wird, kann ich nach Hause fliegen. Und das ohne Dazutun, weil ich das Glück hatte, in Deutschland geboren worden zu sein. Viele unserer vermeintlichen Probleme sind im Vergleich Luxusprobleme. Ich wünschte, mehr Menschen würden sich das bewusst machen.

beeindruckende Landschaft und anstrengendes Radfahren gehen oft Hand in Hand - Lagunenroute, Bolivien

Haben sich auf Deinen Reisen evtl. Vorurteile bestätigt?

Ich versuche, keine Vorurteile zu haben. Jenseits von Fakten zu urteilen, anderen mit einer ablehnenden Grundhaltung gegenüberzutreten, das gilt es doch unbedingt zu vermeiden in allen Lebenslagen. Wichtig dabei finde ich ist, dass die eigene Meinung eben nur eine Meinung unter vielen ist und nicht die gesetzte Wahrheit und das universelle, einzig Richtige.

Was war schöner als Daheim?

Das Abenteuer. Ich weiß nicht, was der Tag bringt, wen ich treffe, wo ich die nächste Nacht verbringe. Das ist unglaublich spannend und intensiv. Das heißt aber nicht, dass ich es mir als permanenten Zustand wünsche. Die antreibende Neugier, die so viel Energie freisetzt, würde nachlassen.

Was war anstrengender als Daheim?

Mancherorts das ständige Verhandeln von Preisen, damit man als reicher Ausländer nicht übervorteilt wird oder weil es grundsätzlich Teil des Geschäfts ist.

Und Visaangelegenheiten und andere Reisegenehmigungen. Es ist ein großes Ärgernis, wenn die Freiheit, die das Radreisen bietet, durch unnötige bürokratische Hürden eingeschränkt wird. Insbesondere nach großem Aufwand scheinbar willkürlich nicht erteilte Genehmigungen nerven maximal.

Was war für Dich schwieriger auf Reisen, das Losfahren oder das Zurückkommen?

Weder noch. Eine oft gestellte Frage, die impliziert, dass sowohl das Reisen, als auch das Zuhausesein eine Hürde ist oder eine unliebsame Sache. Ich bin gerne auf Reisen und ich bin gerne zu Hause. 

Der Wechsel ist spannend und mit Vorfreude verbunden. Ich glaube, das Reisemotiv ist hier entscheidend. Ich könnte mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die nicht deshalb aufbrechen, weil sie das Reisen wollen, sondern weil sie zu Hause etwas nicht wollen. Und das Nichtwollen fährt mit und ist spätestens nach der Rückkehr wieder präsent.

durch den Cañón del Pato in Peru
durch den Cañón del Pato in Peru

Was war die schlimmste Panne, die Du je hattest?

Tadschikistan, Pamirgebirge, eine kaum befahrene Nebenstrecke, üble Geröllpiste. Mein Hinterreifen hat zwei Risse, etwa zehn Zentimeter lang. Ich reduziere den Luftdruck auf ein Minimum und fahre mit wabbelndem Reifen mit äußerster Vorsicht. Trotzdem muss ich bis zu dreimal am Tag das Gepäck vom Rad laden, das Hinterrad ausbauen und den Schlauch flicken. 

Tagelang habe ich das Gefühl, kaum voranzukommen. Ein Ersatzreifen ist nicht aufzutreiben. Ich probiere verschiedene Methoden, die Risse provisorisch zu reparieren. Die Rettung bringt ein zweiter, ebenfalls nicht einsatzfähiger Reifen.

Ich stecke die Reifen ineinander und montiere beide auf einer Felge, so dass die Löcher des einen Reifens vom anderen abgedeckt werden. Erneut habe ich mein Ziel umgesetzt, möglichst jeden über Land führenden Kilometer aus eigener Kraft zurückzulegen. Aber es war ein mühsames Unterfangen.

Was bedeutet Heimat für Dich?

Für mich ist die Heimat der Ort, an dem ich geboren und aufgewachsen bin und wo demzufolge die Menschen leben, die mir am wichtigsten sind. Das Verhältnis ist vergleichbar mit dem zur Familie. 

Man sucht es sich nicht aus, nicht alles ist perfekt und doch gibt es eine innere Verbundenheit, die einen dort hinzieht.
Ganz pragmatisch ist die Heimat der Ort, wo ich am besten weiß, wie die Dinge funktionieren und wo ich kein Fremder bin. Das ist nach langen Reisen stets eine entspannende Erfahrung.

Probegefahren werden - Kirgistan

Wie hast Du Deine Reisen finanziert?

Ich verdiene mein Geld zu Hause als Angestellter und lebe auf der Reise vom Ersparten. Über die Jahre hat sich reichlich Ausrüstung angesammelt und unterwegs gebe ich nicht viel Geld aus. Eigenes Transportmittel, ich kann draußen schlafen, selber kochen, die Bedürfnisse sind sehr reduziert. 

Essen ist am wichtigsten und das ist kein großer Kostenfaktor. Die Unterhaltskosten sind sehr gering. Je länger die Reise ist, umso preiswerter wird es im Tagesdurchschnitt, vor allem, weil sich das Verhältnis teure Transfers zu Reisezeit verbessert. Zu Hause anfallende Kosten, wie zum Beispiel Miete, gilt es zu beseitigen. Hier hilft es, wenn man sich nicht durch Besitz und Besitzstreben, dass einen an einen gut bezahlten Job fesselt, belastet.

Welchen wichtigen Tipp kannst Du anderen Abenteurern mit auf den Weg geben?

Geht alles mit einer positiven Einstellung an. Allem voran davon hängt das Gelingen des Abenteuers ab. Schon allein deshalb, weil ihr selbst definiert, ab wann eine Unternehmung ein Erfolg ist. Das hängt nicht zwingend vom Erreichen eines bestimmten Ortes ab oder von der Anzahl der zurückgelegten Kilometer. Seht ihr die Reise als beschwerlich und belastend an, hinterfragt eure Motive und widmet euch vielleicht etwas anderem. 

Könnt ihr es trotz der Schwierigkeiten genießen, nehmt ihr die Schwierigkeiten als sportliche Herausforderung und seht das Positive, das in allen Dingen liegt, ergibt sich der Rest. Wenn ihr es wirklich wollt, ist ein paar Tausend Kilometer Fahrrad zu fahren keine große Sache.
Überplant nicht, macht einfach – ohne blauäugig zu sein. Ob ihr euer Ziel erreicht, hängt nicht von der Wahl der „richtigen“ Fahrradkomponenten oder Ähnlichem ab. Wenngleich funktionierende Ausrüstung es einfacher, komfortabler und damit gelegentlich mental weniger herausfordernd macht.

Und, ganz wichtig, die allermeisten Menschen sind anständig und wollen Euch nichts Schlechtes, im Gegenteil. Eine übertriebene Angst ist unangebracht, gesunder Menschenverstand reicht. Permanente Scheu und Skepsis machen mehr kaputt als zum Beispiel ein Diebstahl an materiellen Schaden anrichtet, nehmen Euch die erforderliche Lockerheit, werden Euch viele bereichernde Erlebnisse nicht haben lassen.

Testfahrt - Nubien, Sudan
Testfahrt - Nubien, Sudan

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