Heinz Stücke im Interview

54 Jahre Weltreise

Ende Juni 2023 hatte ich endlich die Gelegenheit, ein Interview mit Heinz Stücke, geboren 1940, zu führen. Vermittelt hat uns das Interview Tilmann Waldthaler, der seit Jahrzehnten mit Heinz das Radreisefieber teilt. Beide gelten unter Radreisenden als Legenden.

Der eine – Tilmann – der immer wieder zu verschiedenen Touren aufbrach und diese in zahlreichen Büchern niederschrieb, der andere – Heinz Stücke – 54 Jahre Non Stop unterwegs. 54 Jahre, eine unglaubliche Zeit für eine Reise. Vorab war klar, dass ich Heinz nicht groß fragen muss „erzähl mal was von Deiner Reise!“ Zu erzählen hat Heinz nämlich viel.

Und wenn man mit Heinz telefoniert, dann wird schnell klar, dass er viel erlebt hat. Es sprudelt nur so aus ihm heraus. In kurzer Zeit hüpft er von einer Anekdote zur nächsten Geschichte, dem nächsten Land, der nächsten Begegnung. Der hat was zu erzählen, ein „normales“ Interview wird das nicht – so viel wird schnell klar.

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Eines vorneweg. Heinz war 54 Jahre mit dem Fahrrad unterwegs. Der Start lag also in einer Zeit, als noch auf Dia fotografiert wurde und die Entwicklung im Anschluss immer eine kleine Überraschung bereithielt. Bilder versendet Heinz grundsätzlich nicht digital, da dies zu viel Arbeit mache. Daher haben wir eine „kleine“ Auswahl an Postkarten von Heinz erhalten, welche er auf seinen Reisen verkauft hat, um Geld einzunehmen. Diese haben wir hier für das Interview bestmöglich abfotografiert (natürlich mit Genehmigung von Heinz!).

Übersicht

Egypt 1963 - Copyright by Heinz Stücke
Egypt 1963 - Copyright by Heinz Stücke

Einleitung

196 Länder, über 650.000 Kilometer, 85 Territorien, 6 Fahrrad Diebstähle und unzählige Platten, Pannen und Bekanntschaften, das ist nur ein Teil der kleinen Statistik von Heinz. Zu jedem Land hat er Buch geführt:

Australien:

  • 6x Grenze überschritten
  • 24.065 Kilometer zurückgelegt
  • 386 Tage in Australien verbracht

Nepal:

  • 3x Grenze überschritten
  • 2095 Kilometer zurückgelegt
  • 169 Tage in Nepal verbracht

Brasilien:

  • 6x Grenze überschritten
  • 12.465 Kilometer zurückgelegt
  • 406 Tage in Brasilien verbracht
Oman 1998 - Copyright by Heinz Stücke
Oman 1998 - Copyright by Heinz Stücke

Start der Reise

Für mich, der 1976 geboren wurde und heute mittlerweile bei den jüngeren zum älteren Eisen gehört, ist das Startjahr von Heinz schon nahezu historisch: 1962 ging es los. Nicht ohne vorher natürlich, wie fast alle Radreisenden seiner Zeit, vorab kleinere Touren gemacht zu haben. Inspirator seiner Tour war das Buch von Heinz HelfgenIch radle um die Welt“.

Bereits während seiner Ausbildung zum Werkzeugmechaniker unternahm Heinz einige Touren in Europa. Nach der Ausbildung ging es ums Mittelmeer, wo er knappe 10.000 Kilometer zurücklegte. Von 1960 – 61 radelte er durch Asien, um schlussendlich mit einem Bananenfrachter nach Russland zu gelangen, welches damals noch schwer (für westliche Reisende und überhaupt) zu bereisen war. So kam es auch, dass er während der Reise in Russland verhaftet und aus dem Land geworfen wurde.

Der eigentliche Start der Nonstop – Reise war dann 1962. Ziel: Die Olympischen Spiele 1964 in Tokio. 7 Jahre später kam er in Tokio an.  Seine Eltern traf Heinz 1977 in Holland das erste Mal nach seinem Start wieder. Heimweh hatte Heinz nie.

Russia 1997 - Copyright by Heinz Stücke
Russia 1997 - Copyright by Heinz Stücke

Geld verdienen und Unterstützer

Nach einem kürzlich erschienenen Film über Heinz bei Netflix klingelt ständig das Telefon. Zahlreiche Zeitschriften, Freelancer und Globetrotter Fragen bei Heinz zwecks Interviews und Tipps an. Nachdem er 2014 zurück in seinen Heimatort kam, interessierte sich kaum einer für Ihn. Nun ist das anders. Und alle wollen wissen wie er seine Reise finanziert hat.

Die Frage danach brauche ich ihm gar nicht zu stellen. Er erzählt es von allein: Natürlich hatte Heinz wie alle anderen Menschen Geldsorgen. „Reisen kann so einengend sein, wie jeder andere Job!“ Der Druck, Geld zu verdienen, ist nicht viel anders, als bei den Zuhausegebliebenen.  Seine Geldquelle war seine Reise, seine Geschichte. Er verkaufte Broschüren (über 80.000 Stück) und Fotos seiner Reise. In der Londoner Times erschien in den siebziger Jahren ein achtseitiger Artikel über den verrückten deutschen Radreisenden. Dafür gab es 6400 D-Mark. Eine unglaubliche Summe für die damalige Zeit. Der Kaiser Haile Selassie von Äthiopien schenkte ihm 1963 500,- US-Dollar.

Immer wieder machte Heinz auch längere Stopps, um Geld zu verdienen, Leute kennenzulernen und tiefer in ein Land einzutauchen. Das Geldverdienen war ein tägliches Übel. Doch bei all diesem Übel stand das Reisen im Vordergrund, nicht wie heute bei zahlreichen Freelancern, das vollkommende Vermarkten des eigenen Trips.

1980 vermarktete „Frank Spooner Pictures of London“ einen Teil seiner Bilder. Diese Kooperation nahm viele Sorge aus seinem Leben. Je nachdem, wo er sich aufhielt, bekam er 3000 bis 5000 Dollar pro Jahr.

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Spain 1983 - Copyright by Heinz Stücke
Spain 1983 - Copyright by Heinz Stücke

Essen

Bei der Frage ob ihn kulinarisch etwas besonders gut oder schlecht in Erinnerung geblieben ist, holt Heinz erst mal aus. Auf einer solchen Reise kann man nicht viele Ansprüche stellen. Es wird in der Regel gegessen was auf den Tisch kommt. Und dann treten doch ein paar besondere Erinnerungen ans Tageslicht.

So zum Beispiel, dass die Chinesen alles klein schnippeln und zusammen in einem Essen vermischen. „Ja und überhaupt essen die alles, was vier Beine hat, außer dem Tisch. Alles was fliegen kann, außer einem Flugzeug und alles was schwimmt, außer ein U-Boot.“

Was ihm besonders gut in Erinnerung geblieben ist, war die Ameise in Schokolade in Japan, als er zu einem Essen eingeladen wurde. Oder das Thali in Indien – ein Reisgericht mit verschiedenen Beilagen und besonderer Würze. 

In den USA wurde er in den siebziger Jahren permanent zum Essen eingeladen. Als Dank für die Einladung, wie Heinz beschreibt, „quatschte“ der die Gastgeber gerne bis in die Morgenstunden mit seinen Erlebnissen und Erfahrungsberichten zu.  Im Lauf der Jahrzehnte wurden die Einladungen bei weiteren USA-Trips aber immer seltener.

Und dann fällt ihm doch noch ein Gericht ein, für das er extra 150 Kilometer in Kambodscha zurücklegt, um dann festzustellen, dass er es doch nicht probieren wolle. Fried Tarantulas – gebratene Taranteln. Eines der (O-Ton) „widerlichsten“ Gerichte während einer 52jährigen Radtour.

Iran 1976 - Copyright by Heinz Stücke
Iran 1976 - Copyright by Heinz Stücke

Besondere Grenzübertritte

Eine Frage, die man einem Langzeitreisenden so eigentlich nicht stellen kann. Denn was ist schon besonders? Auch hier holt Heinz seine zahlreichen Erinnerungen heraus und erzählt. Schließlich findet sich auch für diese Kategorie ein Land: Saudi-Arabien.

40 Jahre war er da bereits unterwegs, als sich ihm die Möglichkeit bot, endlich nach Saudi-Arabien reisen zu können. Einem Land, das sich besonders schwer tut mit nicht-islamischen Touristen. Zumindest zu der damaligen Zeit.

Möglich wurde die Reise durch einen deutschen Botschaftsattaché im Jemen, der ihm eine Einladung der deutschen Botschaft in Saudi-Arabien organisierte. Als die Einladung stand, organisierte sich Heinz einen Flug von Sanaa nach Dschidda (dem Sitz der damaligen deutschen Botschaft) und weiter nach Damaskus. Damit erhielt er dann sein Visum für Saudi-Arabien, stornierte den Flug und reiste auf dem Landweg ins gelobte Land ein.

Die Ironie an dieser Geschichte ist, dass Heinz in Dschidda seine einzige Pressekonferenz während seiner Reise gab. Genau in einem Land, das westliche Touristen nicht gerade willkommen hieß.

Afghanistan 1976 - Copyright by Heinz Stücke
Afghanistan 1976 - Copyright by Heinz Stücke

Fahrrad und Ausrüstung

Sein Fahrrad war ein altes 26-Zoll Rad mit Dreigang-Nabenschaltung mit verstärktem Rahmen und wog um die 25 Kilogramm. Hinzu kamen rund 45 Kilogramm Gepäck. 6-mal wurde ihm das Fahrrad gestohlen oder beschlagnahmt und jedes Mal fand er es wieder. Zuerst in San Francisco, wo er es nach viertätiger intensiver Suche mit Hilfe von Rundfunk und Fernsehen wiederbekam. 1966 in Bogota (Kolumbien), 1976 Ürgüp (Türkei), 1988 Banawe (Philippinen), 1990 Tibet und 1997 China (Sibieren). Nach so langer gemeinsamer Reise mit seinem Zweirad hatte Heinz ein besonderes „Zusammengehörigkeitsgefühl“ mit seinem Drahtesel. Heute ist es eines seiner Ausstellungstücke in seinem kleinen Museum in Hövelhof, seinem Heimartort, von dem er 1962 aus startete.

Was machte das Rad so schwer? Vor allem die Fotoausrüstung, Karten, Tagebücher, Adressbücher, Dias und Broschüren, welche er unterwegs verkaufte. Auch war der Rest der Campingausrüstung nicht so leicht und funktionell, wie das heutzutage die Regel ist.

Sein Nylonzelt brannte ihm eines morgens ab, weil er vergaß die Kerzen auszumachen. Später wurde er mit Zelten durch die Firma The North Face unterstützt. Im Urwald hatte er immer eine Hängematte dabei, „…weil es wichtig ist vom Boden weg zu schlafen.“ So weiß Heinz zu berichten, dass es in manchen Hotels im Urwald nur einen Haken und Ringe im Zimmer gab, wo man seine Hängematte aufhängen konnte.

Wie bei allen anderen Radreisenden, auch war das Gepäck beim Fahrrad von Heinz natürlich auch gleichmäßig über das Fahrrad verteilt. In der Mitte des Rahmens war ein Schild mit einer Weltkarte angebracht. Hinten ein Schild mit der Fahne seines Heimatlandes und der Aufschrift, dass er sich auf Weltreise befindet. Diese beiden Schilder ermutigten immer wieder Menschen anzuhalten und Fragen zu stellen.

India 1975 - Copyright by Heinz Stücke

Unfälle und Krankheiten

Eine Krankenversicherung hat Heinz nicht und nie gehabt. „Wer keine Krankenversicherung hat, wird auch nicht krank“, so die lustige Behauptung.

Doch von Unfällen und Krankheit blieb Heinz während seiner Reise nicht verschont. Im Iran hatte er einen Typhusanfall und musste im Krankenhaus behandelt werden. In Alaska und Guatemala war er in einen Autounfall verwickelt.  In Ägypten wurden er von Soldaten bewusstlose geprügelt, weil er angeblich ein Flugabwehrsystem fotografiert hatte.

Nepal 1990 - Copyright by Heinz Stücke

China

China war ein besonderes Highlight für Heinz. 26 Jahre nach Beginn der Tour konnte er 1988 endlich nach China reisen. Fast zwei Jahre verbrachte er dort, radelte insgesamt 35.000 Kilometer, bereiste jede Provinz dieses riesigen Landes und auch einige Nachbarländer, wie Nepal, Mongolei, Laos, Vietnam, Indien und Pakistan.

Doch China war für Heinz eine besondere Herausforderung. Allen voran das Sprachproblem mit der Bevölkerung, welches für ihn die Informationssammlung erschwerte. Schon damals war das Reisen mit dem eigenen Transportmittel in China eigentlich illegal. Doch wie konnte Heinz dort so lange reisen? Ganz einfach, „das tägliche Leben ist das eine und die Gesetze das andere.“ Die Gesetze werden ständig von allen Teilen der Bevölkerung gebrochen.  „Das Problem beginnt erst dann, wenn der Arm des Gesetzes (Polizei) anders will.“ Dabei werden Einheimische bei Vergehen mit hohen Strafen belegt, während Ausländer oft nur Abmahnungen erhalten. Und wird man dennoch des Landes verwiesen, organisiert man sich einfach einen neuen Pass und reist neu ein. Eine Möglichkeit die in Zeiten der Digitalisierung und besseren Vernetzung des Überwachungsapparates heute so wohl nicht mehr möglich wäre.

In China sammelt Heinz auch die Erfahrung, dass Chinesen unglaublich großzügig sein können, wenn alles nach ihrem Willen geht. „Morgen können Dich die Leute übers Ohr hauen und abends mit Geschenken überschütten.“ Die Grunderkenntnis ist, „dass China den Chinesen gehört und nur die Auffassung der Chinesen zählt.“

Postkarte Rückseite mit Original Autogramm

Heimkehr

2014 war das Jahr der Heimkehr in seinen Heimatort Hövelhof. Nach einer Anfrage von Heinz bot ihm die Gemeinde eine alte Hausmeisterwohnung mietfrei an.  Das war für Heinz ein großes Geschenk, da auch er sein zunehmendes Alter nicht von der Hand weisen kann.

Mittlerweile tut sich Heinz schwer mit dem Laufen. Doch Almosen oder Geld vom deutschen Staat will und braucht Heinz nicht. Er lebt von den Verkäufen seines Buches und von Spenden. Rund 800 Bücher hat er bereits direkt verkauft. Ein Bruchteil dessen, was sein Namensvetter Heinz Helfgen mit seinen 800.000 verkauften Exemplaren erzielt hat.

Heinz hatte auch eine Homebase in Paris gehabt, doch irgendwie bleibt Heimat Heimat, auch wenn er nie Heimweh verspürt hatte. Es drängte ihn seine Schwester, doch nun endlich mal den gesamten „Müll“ daheim abzuholen, welcher sich in fünf Jahrzehnten bei Ihr angesammelt hat. Darunter 8 alte Brooks Sättel, etliche abgefahrene Reifen, weit über 100.000 Dias und alte Tagebücher.

Wer heute Heinz in Hövelhof besuchen kommt, der kann einen kleinen Einblick in sein Museum werfen. Er freut sich über jeden Besuch, dem er seine Geschichte erzählen kann.

Buch

Heinz Stücke hat nicht wie andere Globetrotter einen Bestseller nach dem anderen geschrieben.
Wer etwas über seine Reise erfahren möchte kann bei Ihm direkt ein Buch bestellen. Dazu muss man Heinz eine E-Mail (h e i n z s t u c k e @ h o t m a i l . com) schreiben. Das Buch versendet er dann umgehend auf Vertrauensbasis. 20 Euro hätte er gerne dafür. Bezahlt wird per Paypal oder Überweisung.

Weitere Informationen

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7 Antworten

  1. Eben habe ich die Dokumentation auf netflix gesehen. Durch ihr Interview noch weitere interessante Einblicke erhalten. Danke dafür

  2. Lieber Mike,

    ich konnte gar nicht aufhören zu lesen, so spannend ist die Geschichte, die auf diesem Interview beruht. Was hat Heinz all die Jahre angetrieben, immer weiter und weiter zu radeln? Hast du das herausgefunden?

    Liebe Grüsse
    Susan

    1. Hallo Susan

      Es war die Sehnsucht die Welt zu entdecken. Irgendwann, so nach 15 Jahren auf dem Rad, stand für Heinz fest, das er alle Länder der Welt bereisen wolle. Wobei ich Ihn gar nicht zu Nordkorea gefragt habe. Muss ich noch nachholen.

      Mike

  3. Was für ein Leben. Sein Inspirationsbuch von Heinz Helfgen hatte ich als Kind staunend gelesen. Als Jugendlicher wars mir dann zu unbequem.

    Tolles Interview. Danke.

  4. Lieber Mike, was für ein Leben, was für Geschichten!!! Danke dir für diesen spannenden Einblick in das Leben eines Menschen, von dem man sich gerne inspirieren lässt. Beste Grüße, Michael

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